Interview mit Rechtsanwalt Reime: Kritische Analyse der Bilanz der FIGAROS – Friseurgenossenschaft Neuruppin eG – Risiken für Anleger

Interviewer: Herr Reime, Sie haben die Bilanz der FIGAROS – Friseurgenossenschaft Neuruppin eG für das Geschäftsjahr 2023 analysiert. Welche kritischen Punkte sehen Sie aus Anlegersicht?
Rechtsanwalt Reime: Die Bilanz zeigt einige bemerkenswerte Aspekte, sowohl positiv als auch kritisch. Positiv ist, dass die Genossenschaft eine relativ solide Eigenkapitalquote von etwa 80,6 % aufweist, was für finanzielle Stabilität spricht. Allerdings gibt es auch einige Punkte, die Anleger hinterfragen sollten.
Zum Beispiel ist das Anlagevermögen von 207.345,40 Euro im Vorjahr auf 185.172,40 Euro gesunken. Das deutet darauf hin, dass Vermögenswerte abgeschrieben oder veräußert wurden, ohne dass entsprechende Investitionen in neue Anlagen ersichtlich sind. Langfristig könnte dies Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der Genossenschaft haben.
Zudem bestehen sonstige finanzielle Verpflichtungen in Höhe von 81.756,67 Euro, die nicht in der Bilanz ausgewiesen sind, sondern in den Erläuterungen des Anhangs auftauchen. Das sind vor allem Miet-, Pacht- und Leasingverträge, die dennoch das Risiko bergen, die Liquidität der Genossenschaft zu belasten.
Interviewer: Die Genossenschaft hat einen Jahresüberschuss von rund 20.245 Euro erzielt. Reicht das aus, um wirtschaftlich solide aufgestellt zu sein?
Rechtsanwalt Reime: Der Jahresüberschuss hat sich im Vergleich zum Vorjahr zwar mehr als verdoppelt, dennoch bleibt er auf einem niedrigen Niveau. Wenn man bedenkt, dass die Genossenschaft 42 Mitarbeiter beschäftigt, stellt sich die Frage, ob dieser Gewinn ausreicht, um langfristige Investitionen und mögliche wirtschaftliche Herausforderungen zu stemmen.
Zudem gibt es eine relativ hohe Liquidität von über 511.000 Euro, was auf den ersten Blick positiv erscheint. Doch eine so hohe Kassenhaltung kann auch darauf hinweisen, dass Mittel nicht effizient genutzt werden, beispielsweise für Investitionen oder Modernisierungen.
Interviewer: Die Verbindlichkeiten sind mit 122.787,49 Euro vergleichsweise gering. Sehen Sie hier Risiken?
Rechtsanwalt Reime: Ja, insbesondere weil alle Verbindlichkeiten kurzfristig sind – das heißt, sie müssen innerhalb eines Jahres bedient werden. Zwar hat die Genossenschaft ausreichend liquide Mittel, um diese zu decken, aber falls es zu unerwarteten Kosten oder Einnahmerückgängen kommt, könnte es kurzfristig zu Engpässen kommen. Zudem wäre es aus Investorensicht wünschenswert, eine genauere Aufschlüsselung der Verbindlichkeiten zu haben, um deren Ursprung und mögliche Risiken besser einzuschätzen.
Interviewer: Gibt es weitere problematische Aspekte in der Bilanz?
Rechtsanwalt Reime: Eine Schwachstelle ist die Entwicklung des Sachanlagevermögens. Die Abschreibungen auf Betriebsausstattung sind mit 18.489 Euro recht hoch, während nur 5.936 Euro an neuen Investitionen getätigt wurden. Das bedeutet, dass mehr Vermögen verloren geht als erneuert wird, was langfristig problematisch sein kann.
Zudem ist der Rückgang der Mitgliederanzahl kritisch. Während 2022 noch 7.540 Euro an Geschäftsguthaben eingezahlt waren, sind es 2023 nur noch 6.240 Euro. Das könnte darauf hindeuten, dass Mitglieder aus der Genossenschaft ausgetreten sind, was wiederum auf einen Vertrauensverlust oder mangelnde wirtschaftliche Perspektiven hindeuten könnte.
Interviewer: Wie bewerten Sie die Transparenz der Genossenschaft gegenüber den Anlegern?
Rechtsanwalt Reime: Die Genossenschaft hält sich an die gesetzlichen Vorschriften, aber es gibt einige Punkte, bei denen mehr Transparenz wünschenswert wäre. Beispielsweise werden keine genauen Informationen zur wirtschaftlichen Entwicklung oder den Zukunftsplänen gegeben. Auch die genauen Ursachen für den Rückgang des Anlagevermögens oder die langfristige Strategie der Genossenschaft fehlen.
Interviewer: Welche Empfehlungen haben Sie für bestehende und potenzielle Anleger?
Rechtsanwalt Reime:
- Genau auf die langfristige Entwicklung achten: Anleger sollten beobachten, ob sich die Investitionstätigkeit verbessert oder ob weiterhin mehr Vermögenswerte abgeschrieben als erneuert werden.
- Rückgang der Mitglieder kritisch prüfen: Weniger Mitglieder könnten darauf hindeuten, dass Vertrauen verloren geht. Neue Investoren sollten prüfen, warum das der Fall ist.
- Transparenz einfordern: Die Genossenschaft sollte genauere Angaben zu ihren Finanzstrategien und Investitionsplänen machen, um das Vertrauen der Mitglieder zu stärken.
- Verbindlichkeiten im Auge behalten: Zwar sind sie aktuell gering, aber ihre kurzfristige Fälligkeit kann zu Liquiditätsengpässen führen, falls unerwartete Kosten auftreten.
Interviewer: Ihr Fazit zur FIGAROS – Friseurgenossenschaft aus Anlegersicht?
Rechtsanwalt Reime: Die Genossenschaft weist eine vergleichsweise solide Eigenkapitalstruktur auf, was grundsätzlich positiv ist. Allerdings gibt es einige problematische Entwicklungen, insbesondere den Rückgang des Anlagevermögens, eine geringe Investitionstätigkeit und eine nicht unerhebliche Summe an nicht bilanzierten finanziellen Verpflichtungen. Anleger sollten genau prüfen, ob das Geschäftsmodell langfristig tragfähig ist und ob sich die wirtschaftliche Lage in den nächsten Jahren verbessert oder weiter verschlechtert.
Interviewer: Vielen Dank für Ihre Einschätzungen, Herr Reime.
Rechtsanwalt Reime: Sehr gerne. Anleger sollten immer wachsam bleiben und sich nicht allein von oberflächlichen Bilanzzahlen täuschen lassen.