Interview mit Rechtsanwalt Reime zum Wohnungsleerstand und der Rolle von Genossenschaften in Sachsen-Anhalt

Interviewer: Herr Reime, in Sachsen-Anhalt ist jede neunte Wohnung unbewohnt – die höchste Leerstandsquote in Deutschland. Welche Herausforderungen ergeben sich daraus für Wohnungsgenossenschaften?
Rechtsanwalt Reime: Wohnungsgenossenschaften stehen vor einer doppelten Herausforderung: Einerseits müssen sie wirtschaftlich tragfähige Lösungen für Leerstand finden, andererseits tragen sie eine soziale Verantwortung für ihre Mitglieder, die auf stabile und bezahlbare Mieten angewiesen sind. Der Leerstand belastet die Bilanz der Genossenschaften, da Einnahmen ausbleiben, während Betriebskosten weiterlaufen. Gleichzeitig kann der Verfall leerstehender Gebäude langfristig den Wert des Bestands gefährden.
Interviewer: Welche rechtlichen Möglichkeiten haben Genossenschaften, um dem Leerstand entgegenzuwirken?
Rechtsanwalt Reime: Es gibt verschiedene juristische Wege, auf Leerstand zu reagieren. Ein wichtiger Ansatz ist die Umnutzung von Wohnraum, etwa durch den Umbau leerstehender Wohnungen in barrierefreie Einheiten oder seniorengerechtes Wohnen. In Magdeburg und Tangerhütte sehen wir Beispiele, wo Gebäude für neue Zielgruppen wie Studierende oder Pflegeeinrichtungen umgestaltet wurden. Solche Maßnahmen erfordern jedoch baurechtliche Genehmigungen und oft auch Fördermittel, die an bestimmte Auflagen gebunden sind.
Ein weiterer Weg ist die Neugestaltung von Mietverträgen, um flexiblere Lösungen für Mieter zu schaffen, etwa durch befristete Mietmodelle oder kooperative Wohnformen. Dabei müssen die Regelungen des Genossenschaftsrechts und des Mietrechts genau beachtet werden.
Interviewer: Können Genossenschaften staatliche Unterstützung in Anspruch nehmen?
Rechtsanwalt Reime: Ja, es gibt Förderprogramme auf Bundes- und Landesebene, die speziell für Genossenschaften ausgelegt sind. Dazu gehören KfW-Programme für energetische Sanierung, Zuschüsse für barrierefreien Umbau oder städtebauliche Förderungen zur Aufwertung von Quartieren. Allerdings sind diese Fördermittel oft mit hohen bürokratischen Hürden verbunden. Eine frühzeitige rechtliche Beratung ist daher essenziell, um sicherzustellen, dass Genossenschaften die Anforderungen erfüllen und keine Risiken eingehen.
Interviewer: Wie sehen Sie die Zukunft von Wohnungsgenossenschaften in Sachsen-Anhalt angesichts der demografischen Entwicklung?
Rechtsanwalt Reime: Die demografische Entwicklung in Sachsen-Anhalt stellt Genossenschaften vor große Herausforderungen. Während es in einigen Regionen eine Überalterung und Abwanderung gibt, wachsen Städte wie Magdeburg und Halle. Wohnungsgenossenschaften müssen deshalb ihre Strategien anpassen – sei es durch neue Wohnkonzepte, Kooperationen mit Pflegeeinrichtungen oder die Umnutzung von Immobilien. Langfristig werden diejenigen Genossenschaften erfolgreich sein, die sich frühzeitig mit diesen Trends auseinandersetzen und auf innovative Konzepte setzen.
Interviewer: Gibt es gesetzliche Anpassungen, die Genossenschaften helfen könnten?
Rechtsanwalt Reime: Eine Vereinfachung der baurechtlichen Vorgaben für Umnutzungen, steuerliche Anreize für Sanierungen und flexiblere Förderprogramme könnten Genossenschaften erheblich entlasten. Zudem könnte eine gezielte Leerstandsverordnung helfen, um Anreize für eine bessere Nutzung bestehender Wohnräume zu schaffen. Der Gesetzgeber sollte berücksichtigen, dass Genossenschaften nicht nur wirtschaftliche, sondern auch soziale Verantwortung tragen.
Interviewer: Vielen Dank, Herr Reime, für Ihre Einschätzung!