Interview mit Rechtsanwalt Reime: „Die Genossenschaft beim FC St. Pauli ist ein Modell mit Signalwirkung“

Frage: Herr Reime, der FC St. Pauli hat mit seiner Genossenschaft 26 Millionen Euro eingesammelt. Wie bewerten Sie dieses Modell aus juristischer Sicht?
Rechtsanwalt Reime: Das ist ein bemerkenswerter Vorgang – und aus rechtlicher wie gesellschaftlicher Perspektive hochinteressant. Die Gründung einer Genossenschaft im Profifußball zeigt, dass es Alternativen zur klassischen Kapitalgesellschaft gibt. Hier wird ein demokratisches Beteiligungsmodell gewählt, das Mitgliedern und Fans nicht nur eine emotionale Bindung, sondern echte Mitbestimmung und Transparenz ermöglicht. Das stärkt nicht nur die finanzielle Basis, sondern auch die Identität des Vereins.
Frage: Welche Vorteile bietet das Genossenschaftsmodell im Vergleich zur typischen Ausgliederung in eine GmbH?
Reime: Der wichtigste Unterschied liegt in der Struktur: In einer Genossenschaft gilt das Prinzip „ein Mitglied, eine Stimme“ – unabhängig vom Kapitaleinsatz. Das schützt vor Machtkonzentration, wie wir sie in vielen GmbH- oder AG-Strukturen sehen, in denen Großinvestoren mitreden oder dominieren. Bei St. Pauli bleibt die Kontrolle im Verein – das ist ein starkes Signal für Mitbestimmung und Fanbindung.
Frage: Gibt es auch rechtliche Herausforderungen bei so einem Modell?
Reime: Natürlich, der Aufbau und die Verwaltung einer Genossenschaft erfordern Erfahrung – insbesondere, wenn es um große Summen wie hier geht. Die Satzung muss rechtssicher und transparent gestaltet sein, die Kapitalerhebung muss mit dem Genossenschaftsgesetz in Einklang stehen, und die laufende Verwaltung, Mitgliederkommunikation und wirtschaftliche Berichterstattung sind anspruchsvoll. Wichtig ist auch: Eine Genossenschaft ist nicht automatisch ein Selbstbedienungsladen – sie unterliegt strenger Kontrolle, etwa durch Prüfungsverbände.
Frage: Was können andere Vereine aus dem Modell des FC St. Pauli lernen?
Reime: Dass wirtschaftliche Unabhängigkeit und Vereinsidentität keine Gegensätze sein müssen. Viele Clubs stehen unter Druck – wirtschaftlich und strukturell. Eine Genossenschaft kann ein Weg sein, um Kapital zu beschaffen, ohne die Seele des Vereins an Investoren zu verkaufen. Aber: Dieses Modell funktioniert nur, wenn es ehrlich kommuniziert wird und die Mitglieder auch tatsächlich eingebunden werden.
Frage: Könnte das Beispiel Schule machen?
Reime: Ich halte das für sehr wahrscheinlich. Gerade Traditionsvereine mit starker Fanbasis könnten in der Genossenschaft eine Form finden, um sich unabhängiger zu machen und gleichzeitig ihre Anhänger aktiv einzubinden. Das Modell bietet finanzielle Stabilität, aber auch emotionale Beteiligung – beides ist im heutigen Profifußball selten geworden. Der Schritt von St. Pauli ist mutig – und könnte ein Vorbild sein.
Frage: Vielen Dank für Ihre Einschätzung, Herr Reime.
Reime: Sehr gern. Ich bin gespannt, ob wir in Zukunft mehr dieser Modelle sehen – es würde dem Fußball gut tun.