Interview mit Rechtsanwalt Reime: Kritische Analyse der Bilanz der Genossenschaft in der alten Königstadtbrauerei eG – Risiken für Anleger

Interviewer: Herr Reime, Sie haben die Bilanz der Genossenschaft in der alten Königstadtbrauerei eG für das Geschäftsjahr 2023 analysiert. Welche Punkte erscheinen aus Anlegersicht kritisch?
Rechtsanwalt Reime: Auf den ersten Blick fällt auf, dass die Genossenschaft mit einer sehr hohen Verschuldung operiert. Die Verbindlichkeiten belaufen sich auf knapp 9,83 Millionen Euro, während das Eigenkapital nur rund 619.500 Euro beträgt. Das bedeutet, dass die Genossenschaft stark fremdfinanziert ist, was das Insolvenzrisiko erheblich erhöht. Besonders problematisch ist, dass ein erheblicher Teil der Verbindlichkeiten eine Restlaufzeit von mehr als fünf Jahren hat und durch Grundschuldeintragungen gesichert ist. Das heißt, im Ernstfall hätten die Gläubiger, insbesondere Banken, vorrangige Ansprüche, während Anleger und Genossenschaftsmitglieder potenziell leer ausgehen könnten.
Interviewer: Der Jahresüberschuss ist gestiegen, allerdings gibt es weiterhin einen Verlustvortrag. Ist das ein Problem?
Rechtsanwalt Reime: Ja, definitiv. Zwar wurde der Jahresüberschuss von 9.245,90 Euro im Vorjahr auf 37.960,68 Euro erhöht, aber das reicht nicht aus, um die Altverluste von über 119.000 Euro auszugleichen. Dieser Verlustvortrag bedeutet, dass das Unternehmen in der Vergangenheit nicht profitabel gewirtschaftet hat und weiterhin finanzielle Altlasten mit sich trägt. Für Anleger ist das ein Warnsignal, denn es zeigt, dass die Genossenschaft bisher Schwierigkeiten hatte, nachhaltige Gewinne zu erwirtschaften.
Interviewer: Wie bewerten Sie die Eigenkapitalquote der Genossenschaft?
Rechtsanwalt Reime: Die Eigenkapitalquote ist extrem niedrig – sie liegt bei nur rund 5,9 %. Eine gesunde Eigenkapitalquote liegt im Idealfall über 20 %. Die niedrige Quote zeigt, dass die Genossenschaft stark von Fremdkapital abhängig ist, was sie anfällig für Zinserhöhungen und wirtschaftliche Schwankungen macht. Sollte es zu Zahlungsschwierigkeiten kommen, könnte das Unternehmen schnell in Schieflage geraten.
Interviewer: Welche weiteren Risiken bestehen für Genossenschaftsmitglieder?
Rechtsanwalt Reime: Ein großes Risiko ist die Haftung der Mitglieder. Die Geschäftsguthaben der Mitglieder sind im vergangenen Jahr um 20.500 Euro gestiegen, was zeigt, dass neues Kapital von Mitgliedern aufgenommen wurde. In Genossenschaften ist es üblich, dass die Mitglieder eine Nachschusspflicht haben oder zumindest ihr eingezahltes Geschäftsguthaben verlieren können, falls die Genossenschaft in finanzielle Schwierigkeiten gerät. Anleger sollten genau prüfen, in welchem Umfang sie haften und ob es eine Begrenzung gibt.
Interviewer: Der Jahresabschluss weist Verbindlichkeiten mit einer Laufzeit von mehr als fünf Jahren in Höhe von über 7 Millionen Euro aus. Ist das ein weiteres Risiko?
Rechtsanwalt Reime: Ja, das ist bedenklich. Diese langfristigen Verbindlichkeiten sind größtenteils durch Grundschulden auf Immobilien abgesichert. Das bedeutet, dass im Falle finanzieller Probleme die Banken zuerst bedient werden. Sollte die Genossenschaft in Schwierigkeiten geraten, würden die Immobilien möglicherweise zwangsversteigert, was zu weiteren Verlusten für die Anleger führen könnte.
Interviewer: Gibt es auch positive Aspekte in der Bilanz?
Rechtsanwalt Reime: Positiv ist, dass die Genossenschaft ein gewisses Anlagevermögen von knapp 9,5 Millionen Euro hat, was auf eine solide Immobilienbasis hinweist. Außerdem wurde der Kassenbestand leicht erhöht, was die kurzfristige Liquidität verbessert. Allerdings reicht das nicht aus, um die strukturellen Finanzprobleme auszugleichen.
Interviewer: Was raten Sie potenziellen Anlegern und bestehenden Mitgliedern der Genossenschaft?
Rechtsanwalt Reime:
- Prüfen, ob eine Nachschusspflicht besteht: Mitglieder sollten klären, ob sie im Insolvenzfall über ihre Einlagen hinaus haften.
- Eintragungen im Grundbuch prüfen: Falls Investitionen an Immobilien geknüpft sind, sollte geprüft werden, welche Sicherheiten bereits bestehen und ob es Belastungen gibt.
- Finanzielle Stabilität beobachten: Die niedrige Eigenkapitalquote und der hohe Schuldenstand sind problematisch. Mitglieder sollten darauf achten, ob sich die finanzielle Lage verbessert oder weiter verschlechtert.
- Risikostreuung beachten: Anleger sollten nicht ihr gesamtes Kapital in eine Genossenschaft investieren, sondern auf Diversifikation setzen.
Interviewer: Zusammenfassend – wie bewerten Sie die Genossenschaft als Anlage aus rechtlicher und finanzieller Sicht?
Rechtsanwalt Reime: Die Genossenschaft birgt erhebliche Risiken. Die hohe Verschuldung, die niedrige Eigenkapitalquote und der Verlustvortrag zeigen, dass die finanzielle Lage angespannt ist. Anleger sollten sich bewusst sein, dass im Ernstfall ihr Kapital gefährdet sein könnte. Wer bereits investiert ist, sollte regelmäßig die Finanzberichte prüfen und sich über seine Haftungsrisiken informieren.
Interviewer: Vielen Dank für Ihre Einschätzungen, Herr Reime.
Rechtsanwalt Reime: Sehr gerne. Anleger sollten immer genau prüfen, in welche Strukturen sie investieren, und sich nicht von schönen Versprechen blenden lassen.