Interview mit Rechtsanwalt Reime: Kritische Analyse der Bilanz der Wohnungsgenossenschaft Saxonia eG aus Anlegersicht

Interviewer: Herr Reime, vielen Dank, dass Sie uns bei der Analyse der Bilanz der Wohnungsgenossenschaft Saxonia eG unterstützen. Die Zahlen werfen aus Anlegersicht einige Fragen auf. Was fällt Ihnen bei einem ersten Blick auf die Bilanz auf?
Rechtsanwalt Reime: Vielen Dank für die Einladung. Aus rechtlicher und wirtschaftlicher Sicht zeigt die Bilanz einige Punkte, die sowohl für Anleger als auch für Genossenschaftsmitglieder kritisch zu betrachten sind. Besonders auffällig ist der Rückgang des Anlagevermögens und der hohe Verlustvortrag, der trotz eines Jahresüberschusses weiterhin schwer auf der Genossenschaft lastet.
Interviewer: Lassen Sie uns genauer hinschauen. Der Verlustvortrag beträgt über 4,2 Millionen Euro. Wie bewerten Sie diesen Punkt?
Rechtsanwalt Reime: Ein Verlustvortrag in dieser Höhe ist für eine Wohnungsgenossenschaft alarmierend. Zwar wurde 2022 ein Jahresüberschuss von knapp 890.000 Euro erzielt, doch dieser reicht nicht aus, um die Verluste aus den Vorjahren auszugleichen. Für Mitglieder bedeutet das, dass die Genossenschaft aktuell nicht in der Lage ist, wirtschaftlich unabhängig zu agieren. Dies könnte auch die Ausschüttungen oder Rückzahlungen an ausscheidende Mitglieder beeinträchtigen.
Interviewer: Wie bewerten Sie den Rückgang des Anlagevermögens um etwa 1,2 Millionen Euro?
Rechtsanwalt Reime: Der Rückgang deutet darauf hin, dass entweder Vermögenswerte verkauft oder stark abgeschrieben wurden. Insbesondere bei einer Wohnungsgenossenschaft ist das Anlagevermögen – meist Immobilien – der wichtigste Vermögenswert. Ein kontinuierlicher Abbau könnte darauf hindeuten, dass die Genossenschaft Schwierigkeiten hat, Investitionen zu tätigen oder ihren Immobilienbestand zu halten. Dies könnte langfristig die Substanz der Genossenschaft gefährden.
Interviewer: Auffällig ist auch die hohe Zahl der ausgeschiedenen Mitglieder. Wie sehen Sie diesen Punkt?
Rechtsanwalt Reime: Die Tatsache, dass 776 Mitglieder im Jahr 2022 ausgeschieden sind, davon 409 durch Ausschluss gemäß Satzung, ist besorgniserregend. Ein solcher Exodus kann darauf hindeuten, dass das Vertrauen in die Genossenschaft schwindet. Der Ausschluss vieler Mitglieder könnte zudem rechtliche Auseinandersetzungen nach sich ziehen, wenn diese den Ausschluss anfechten.
Interviewer: Ein weiteres Thema ist die hohe Wertberichtigung auf Geschäftsguthaben von über 2 Millionen Euro. Was bedeutet das?
Rechtsanwalt Reime: Diese Wertberichtigung zeigt, dass die Genossenschaft erhebliche Probleme bei der Einbringlichkeit ausstehender Einlagen hat. Für Anleger und Mitglieder ist dies ein Warnsignal. Es bedeutet, dass ein erheblicher Teil der geplanten Eigenkapitalbasis nicht realisierbar ist. Dies könnte zukünftige Investitionen oder Rückzahlungen an Mitglieder weiter erschweren.
Interviewer: Wie bewerten Sie die Verbindlichkeiten, insbesondere die langfristigen Darlehen mit Grundschuldsicherungen?
Rechtsanwalt Reime: Langfristige Verbindlichkeiten in Höhe von über 3,3 Millionen Euro sind nicht ungewöhnlich für eine Genossenschaft, doch die Sicherung durch Grundschulden und die Abtretung von Mietforderungen deutet darauf hin, dass die Liquidität angespannt ist. Sollte die Genossenschaft in Zahlungsschwierigkeiten geraten, könnten diese Sicherheiten zur Verwertung herangezogen werden, was die finanzielle Basis weiter schwächen würde.
Interviewer: Was sollte ein Anleger oder Genossenschaftsmitglied bei einer solchen Bilanz beachten?
Rechtsanwalt Reime: Anleger und Mitglieder sollten die finanzielle Stabilität der Genossenschaft genau im Blick behalten. Kritische Punkte sind:
- Transparenz: Die Genossenschaft sollte klar kommunizieren, wie sie den Verlustvortrag und die Liquiditätsprobleme bewältigen möchte.
- Mitgliederaustritte: Hohe Austrittszahlen könnten auf interne Probleme hindeuten. Hier sollten Mitglieder nachhaken.
- Eigenkapitalentwicklung: Mitglieder sollten sich bewusst sein, dass eine hohe Wertberichtigung auf Geschäftsguthaben die Sicherheit ihrer Einlagen gefährden kann.
Interviewer: Welche rechtlichen Schritte empfehlen Sie betroffenen Genossenschaftsmitgliedern?
Rechtsanwalt Reime: Mitglieder sollten zunächst Einsicht in die detaillierten Geschäftsberichte nehmen und sich bei Unsicherheiten rechtlich beraten lassen. Sollten Ausschlüsse oder finanzielle Nachteile wie nicht ausbezahlte Guthaben auftreten, könnte es sinnvoll sein, rechtlich gegen die Genossenschaft vorzugehen. Zudem ist es ratsam, frühzeitig Kontakt zu anderen Mitgliedern zu suchen, um mögliche kollektive Maßnahmen zu ergreifen.
Interviewer: Vielen Dank, Herr Reime, für Ihre Einschätzungen und Ratschläge.
Rechtsanwalt Reime: Sehr gerne. Ich rate den Mitgliedern, aufmerksam und informiert zu bleiben, um rechtzeitig auf mögliche Risiken reagieren zu können.