Interview mit Rechtsanwalt Reime über die rechtlichen Grenzen und Chancen von Wohnungsbaugenossenschaften

Frage: Herr Reime, Wohnungsbaugenossenschaften werden oft als Modell der Zukunft gehandelt. Doch die Wartelisten wachsen. Woran liegt das?
Rechtsanwalt Reime:
Die Idee ist hervorragend, aber sie stößt an sehr konkrete Grenzen. Genossenschaften brauchen Grundstücke, Planungssicherheit und Kapital. Wenn sie – wie heute üblich – in den freien Markt gedrängt werden, müssen sie mit Investoren konkurrieren, die kein soziales Ziel haben, sondern Rendite. Da verlieren Genossenschaften fast immer – rechtlich und wirtschaftlich.
Frage: Ist die Rechtsform der Genossenschaft an sich noch zeitgemäß?
Reime:
Absolut – sie schützt durch klare Strukturen vor Übervorteilung und ermöglicht demokratische Mitbestimmung. Aber sie braucht moderne Rahmenbedingungen. Das Genossenschaftsgesetz ist teilweise veraltet, gerade was digitale Mitbestimmung, Finanzierung oder den Umgang mit öffentlichen Fördermitteln angeht. Viele Genossenschaften sind überfordert mit den formalen Anforderungen und dem Spagat zwischen Idealismus und Realität.
Frage: Wo liegen die größten rechtlichen Stolperfallen?
Reime:
Ein ganz typisches Problem ist die Satzung. Viele Genossenschaften übernehmen Musterformulierungen, die nicht zu ihrem konkreten Projekt passen. Oder sie setzen keine klaren Regeln für Nachschüsse, Rücklagen oder den Umgang mit Instandhaltungskosten. Das rächt sich später – etwa bei Sanierungen, Finanzierungsfragen oder wenn es Streit in der Mitgliederversammlung gibt.
Frage: Und wie sieht es mit der sozialen Fairness aus – funktionieren Wartelisten und Wohnungsvergabe rechtssicher?
Reime:
Nicht immer. Die Vergabe von Wohnungen innerhalb einer Genossenschaft muss transparent und diskriminierungsfrei erfolgen. In der Praxis gibt es aber häufig interne Netzwerke, intransparente Entscheidungsprozesse oder gar subtile Ausschlüsse. Das ist juristisch heikel, vor allem bei Förderprojekten mit öffentlichem Geld.
Frage: Was müsste aus Ihrer Sicht passieren, damit Wohnungsbaugenossenschaften mehr Wirkung entfalten?
Reime:
Drei Dinge: Erstens müssen Kommunen gezielt Bauland für Genossenschaften reservieren – nicht zum Höchstpreis, sondern im Sinne des Gemeinwohls. Zweitens brauchen Genossenschaften rechtssichere und unbürokratische Fördermodelle. Und drittens ist es wichtig, dass sie rechtlich gut aufgestellt sind – das heißt: durchdachte Satzung, klare Governance, verlässliche Finanzplanung. Nur dann sind sie langfristig handlungsfähig.
Frage: Also kein Selbstläufer?
Reime:
Ganz und gar nicht. Eine Genossenschaft ist kein Wohltätigkeitsverein. Sie ist ein Unternehmen mit sozialem Zweck. Und wie jedes Unternehmen braucht sie rechtliche Sorgfalt, wirtschaftliche Kompetenz und klare Strukturen – sonst wird aus dem Ideal ein Sanierungsfall.