Interview mit Rechtsanwalt Reime: „Wie bewerten Sie den Jahresabschluss der Gurschler Immobilien eG aus Anlegersicht?“

Interviewer: Herr Reime, werfen wir einen Blick auf die Bilanz der Gurschler Immobilien eG. Aus Anlegersicht, welche Punkte fallen Ihnen besonders auf?
RA Reime: Der Jahresabschluss zeigt eine interessante Struktur, allerdings auch einige Schwachstellen. Die Genossenschaft hat ein Anlagevermögen von knapp 2,1 Millionen Euro, was darauf hindeutet, dass ein Großteil der Investitionen langfristig gebunden ist, vermutlich in Immobilien. Das ist typisch für eine Immobiliengenossenschaft. Positiv fällt der Jahresüberschuss von 228.331 Euro auf, was im Vergleich zum Vorjahr eine deutliche Steigerung darstellt. Allerdings gibt es auch problematische Aspekte, wie die sehr hohe Fremdkapitalquote und die geringe Eigenkapitalbasis.
Interviewer: Das Eigenkapital beträgt rund 611.030 Euro, bei einer Bilanzsumme von 2,14 Millionen Euro. Wie bewerten Sie diese Eigenkapitalquote?
RA Reime: Die Eigenkapitalquote liegt bei rund 28,5 %, was für eine Immobiliengenossenschaft relativ niedrig ist. Zwar hat sich das Eigenkapital im Vergleich zum Vorjahr verbessert, doch die hohe Abhängigkeit von Fremdkapital bleibt ein Risiko. Insbesondere in einem Umfeld steigender Zinsen könnten die hohen Verbindlichkeiten, die rund 1,5 Millionen Euro ausmachen, das Unternehmen belasten.
Interviewer: Sie sprechen die Verbindlichkeiten an. Was fällt Ihnen dabei besonders auf?
RA Reime: Ein Großteil der Verbindlichkeiten hat eine Restlaufzeit von mehr als einem Jahr, nämlich knapp 1 Million Euro. Das zeigt, dass die Genossenschaft langfristige Verpflichtungen eingegangen ist, was in der Immobilienbranche üblich ist. Problematisch ist jedoch die hohe kurzfristige Verschuldung von 503.772 Euro. Das Unternehmen muss diese Beträge innerhalb eines Jahres zurückzahlen oder refinanzieren, was die Liquidität stark beanspruchen könnte. Die liquiden Mittel betragen lediglich 54.870 Euro, was nicht ausreicht, um die kurzfristigen Verbindlichkeiten zu decken.
Interviewer: Die Genossenschaft weist vier Mitglieder aus und ein Geschäftsguthaben von lediglich 400 Euro. Was bedeutet das aus rechtlicher Sicht?
RA Reime: Das geringe Geschäftsguthaben zeigt, dass die Mitglieder nur mit einem sehr kleinen Betrag haften – in diesem Fall mit insgesamt 400 Euro. Das ist nicht ungewöhnlich, wenn die Genossenschaft als Plattform für Immobilieninvestitionen dient, aber es begrenzt die Haftung der Mitglieder erheblich. Für Anleger bedeutet das, dass sie nur das Risiko ihres eingebrachten Kapitals tragen. Dennoch könnte die geringe Mitgliederzahl ein strukturelles Risiko darstellen, da es auf eine stark eingeschränkte Basis an Entscheidungsfindern hinweist.
Interviewer: Wie bewerten Sie die Liquiditätssituation des Unternehmens?
RA Reime: Die Liquiditätssituation ist angespannt. Die liquiden Mittel sind gegenüber dem Vorjahr gesunken und decken nicht einmal die kurzfristigen Verbindlichkeiten. Dies könnte problematisch werden, falls unerwartete Kosten oder Refinanzierungsprobleme auftreten. In einem Marktumfeld, das von Unsicherheit geprägt ist, wäre eine stärkere Liquidität wünschenswert, um kurzfristige Engpässe abzufedern.
Interviewer: Der Jahresüberschuss konnte im Vergleich zum Vorjahr deutlich gesteigert werden. Wie bewerten Sie das?
RA Reime: Die Steigerung des Jahresüberschusses von 181.566 Euro im Vorjahr auf 228.331 Euro in 2023 ist ein positives Zeichen. Es zeigt, dass die Genossenschaft operativ profitabel arbeitet. Der Gewinnvortrag in Höhe von 381.899 Euro bietet außerdem einen gewissen Puffer. Dennoch sollte man sich nicht allein auf die Ertragslage verlassen, da die hohe Verschuldung und die geringe Liquidität weiterhin ein Risiko darstellen.
Interviewer: Gibt es aus Ihrer Sicht kritische Punkte, die Anleger beachten sollten?
RA Reime: Ja, Anleger sollten sich insbesondere mit folgenden Punkten auseinandersetzen:
- Hohe Verschuldung: Die Genossenschaft ist stark fremdfinanziert, was sie anfällig für Zinsänderungen oder Refinanzierungsrisiken macht.
- Geringe Mitgliederbasis: Mit nur vier Mitgliedern fehlt eine breite finanzielle Basis und Entscheidungskompetenz.
- Knappheit an liquiden Mitteln: Die aktuellen liquiden Mittel reichen nicht aus, um kurzfristige Verbindlichkeiten zu decken, was die Handlungsfähigkeit einschränken könnte.
- Langfristige Bindung des Kapitals: Das Vermögen ist überwiegend im Anlagevermögen gebunden, was bedeutet, dass Flexibilität eingeschränkt ist, insbesondere wenn Mittel kurzfristig benötigt werden.
Interviewer: Was würden Sie Anlegern empfehlen, die über eine Investition nachdenken?
RA Reime: Anleger sollten sich darüber im Klaren sein, dass sie in eine stark fremdfinanzierte Struktur investieren. Das Risiko ist vor allem durch die geringe Liquidität und die hohe Abhängigkeit von Fremdkapital erhöht. Gleichzeitig ist die Genossenschaft operativ profitabel, was ein positives Signal ist. Eine Investition könnte attraktiv sein, wenn Anleger das Risiko bewusst tragen und die langfristige Perspektive der Immobilienentwicklung sehen. Dennoch rate ich dazu, die Zinsentwicklung und die Refinanzierungsmöglichkeiten genau im Blick zu behalten.
Interviewer: Vielen Dank, Herr Reime, für Ihre fundierte Analyse und Einschätzung.
RA Reime: Gern geschehen! Es ist wichtig, solche Jahresabschlüsse kritisch zu hinterfragen, um eine fundierte Investitionsentscheidung treffen zu können.
- Gurschler Immobilien eG