Maratim eG – Wo ist die Bilanz 2022?

Eine berechtigte Frage aus unsere Sicht, den eigentliche hatte die Genossenschaft diese längst hinterlegen müssen, wenn sie sich gesetzeskonform verhalten hatte.
Wir haben uns aber auch einmal die letzte hinterlegte Bilanz etwas genauer angeschaut und dazu ein Interview mit Rechtanwalt Jens Reime geführt.
Interview mit Rechtsanwalt Reime zur Analyse der Bilanz der Maratim eG Günzburg aus Anlegersicht
Moderator:
Herr Reime, wir haben die Bilanz der Maratim eG Günzburg für das Geschäftsjahr 2021 vorliegen. Was fällt Ihnen als Anwalt, der Anlegerinteressen vertritt, beim ersten Blick auf diese Bilanz auf?
Rechtsanwalt Reime:
Vielen Dank für die Einladung. Bei einer kritischen Betrachtung dieser Bilanz fällt auf, dass zwar die Grundregeln der Bilanzierung eingehalten wurden, aber einige Punkte aus Anlegersicht problematisch sind. Besonders die Struktur des Eigenkapitals, die hohe Abnahme des Umlaufvermögens sowie die Rückstellungen und Verbindlichkeiten geben Anlass zu Fragen. Lassen Sie uns die Bilanz genauer durchgehen.
Moderator:
Beginnen wir mit den Aktiva: Das Anlagevermögen hat sich von 102.440 Euro im Jahr 2020 auf 326.473 Euro mehr als verdreifacht. Ist das ein positives Signal für Anleger?
Rechtsanwalt Reime:
Das ist auf den ersten Blick positiv, da ein Anstieg des Anlagevermögens darauf hindeuten könnte, dass das Unternehmen langfristig investiert hat, möglicherweise in Maschinen, Gebäude oder andere Vermögenswerte. Allerdings fehlen hier Details, welche Vermögenswerte konkret angeschafft wurden und ob diese tatsächlich werthaltig sind. Ohne diese Informationen könnten auch Fehlinvestitionen oder Abschreibungsrisiken im Raum stehen. Anleger sollten hier auf Transparenz bestehen.
Moderator:
Das Umlaufvermögen hingegen ist um über 30 Prozent gesunken – von 1.075.881 Euro auf 710.099 Euro. Was bedeutet das?
Rechtsanwalt Reime:
Das ist kritisch. Das Umlaufvermögen – also zum Beispiel liquide Mittel oder Forderungen – ist das Kapital, das für den kurzfristigen Betrieb notwendig ist. Ein Rückgang in dieser Größenordnung könnte bedeuten, dass das Unternehmen weniger liquide ist und Schwierigkeiten haben könnte, kurzfristige Verbindlichkeiten zu decken. Aus Anlegersicht sollte geprüft werden, ob hier eine gefährliche Schieflage droht.
Moderator:
Kommen wir zu den Passiva: Das Eigenkapital hat sich leicht reduziert, bleibt aber bei knapp 700.000 Euro relativ stabil. Ist das beruhigend?
Rechtsanwalt Reime:
Das stabile Eigenkapital ist grundsätzlich positiv, aber der Rückgang von etwa 8.000 Euro im Vergleich zum Vorjahr könnte auf eine geringere Rentabilität oder gestiegene Kosten hinweisen. Besonders für Genossenschaften ist das Eigenkapital ein entscheidender Stabilitätsfaktor. Was mir jedoch auffällt, ist die sehr geringe Höhe des Geschäftsguthabens der Mitglieder: 400 Euro. Das ist für eine Genossenschaft extrem niedrig. Anleger sollten sich fragen, ob die Genossenschaft tatsächlich eine breite und solide Mitgliederbasis hat – oder ob die Struktur zu schwach ist, um langfristig erfolgreich zu sein.
Moderator:
Die Rückstellungen sind massiv gefallen – von 145.760 Euro auf nur noch 15.500 Euro. Was sagt Ihnen das?
Rechtsanwalt Reime:
Das ist einer der auffälligsten Punkte in dieser Bilanz. Rückstellungen werden für ungewisse Verbindlichkeiten gebildet, also für Risiken, die möglicherweise noch eintreten können. Ein so drastischer Rückgang könnte darauf hindeuten, dass bestimmte Risiken entfallen sind – was positiv wäre – oder, was kritischer ist, dass das Unternehmen möglicherweise Risiken unterschätzt oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. Anleger sollten hier klären, ob alle bekannten Risiken in den Rückstellungen abgebildet sind. Ein Prüfungsbericht könnte hier weitere Aufschlüsse geben.
Moderator:
Schauen wir auf die Verbindlichkeiten: Sie sind mit 330.338 Euro relativ hoch und haben sich im Vergleich zum Vorjahr kaum verändert. Was sagt Ihnen das?
Rechtsanwalt Reime:
Die Höhe der Verbindlichkeiten ist im Verhältnis zur Bilanzsumme und zum Eigenkapital nicht unbedingt alarmierend, aber es ist auffällig, dass sich die Struktur der Verbindlichkeiten geändert hat: Die kurzfristigen Verbindlichkeiten sind stark gesunken, während die langfristigen Verbindlichkeiten von 53.500 Euro auf über 232.000 Euro gestiegen sind. Das bedeutet, dass die Genossenschaft kurzfristige Schulden durch längerfristige Kredite ersetzt hat. Das kann ein sinnvoller Schritt sein, um Liquidität zu sichern, aber es erhöht das langfristige Risiko. Anleger sollten prüfen, ob diese Verbindlichkeiten solide finanziert sind und welche Konditionen den langfristigen Krediten zugrunde liegen.
Moderator:
Ein weiterer Punkt: In der Bilanz finden sich keine Haftungsverhältnisse nach § 251 HGB und keine treuhänderisch gehaltenen Vermögensgegenstände. Was bedeutet das?
Rechtsanwalt Reime:
Das bedeutet, dass die Genossenschaft zumindest nach außen hin keine Bürgschaften, Garantien oder ähnliches eingegangen ist und keine Vermögenswerte für Dritte verwaltet. Das ist positiv, da dadurch keine versteckten Risiken bestehen. Aber auch hier gilt: Anleger sollten sich nicht allein auf diese Aussage verlassen, sondern im Zweifel eine tiefergehende Prüfung der Verträge und Verpflichtungen vornehmen.
Moderator:
Abschließend: Was sind die zentralen Risiken, die Sie für Anleger sehen?
Rechtsanwalt Reime:
Die Bilanz offenbart mehrere Risiken:
- Abnahme des Umlaufvermögens: Die sinkende Liquidität könnte ein Problem für die kurzfristige Zahlungsfähigkeit darstellen.
- Rückstellungen: Der starke Rückgang der Rückstellungen könnte ein Zeichen dafür sein, dass Risiken nicht ausreichend berücksichtigt wurden.
- Langfristige Verbindlichkeiten: Die deutliche Zunahme langfristiger Schulden birgt das Risiko, dass diese in Zukunft die finanzielle Flexibilität der Genossenschaft einschränken.
- Schwache Mitgliederstruktur: Das extrem niedrige Geschäftsguthaben der Mitglieder deutet darauf hin, dass die Genossenschaft keine breite Basis hat – ein erhebliches strukturelles Risiko.
Moderator:
Und was ist Ihr Rat an Anleger, die in Erwägung ziehen, in die Maratim eG Günzburg zu investieren?
Rechtsanwalt Reime:
Ich rate zur Vorsicht. Potenzielle Anleger sollten sich umfassend über die genauen Investitionen, die Liquiditätslage und die langfristigen Risiken der Genossenschaft informieren. Ohne detailliertere Einblicke in die Geschäftsstrategie, die Bonität und die geplanten Maßnahmen zur Verbesserung der Bilanzstruktur wäre ich zurückhaltend. Ein Gutachten oder ein Prüfungsbericht eines unabhängigen Wirtschaftsprüfers könnte zusätzliche Sicherheit schaffen.
Moderator:
Vielen Dank, Herr Reime, für Ihre kritische und aufschlussreiche Analyse.
Rechtsanwalt Reime:
Gern geschehen. Anleger sollten immer wachsam bleiben und hinter die Zahlen blicken, um Risiken zu minimieren.