#Allgemeines

Ursprung, Entwicklung und rechtliche Grundlagen der Genossenschaften in Deutschland

Gliederung:

1. Ursprung und historische Entwicklung von Genossenschaften
2. Grundlagen des Genossenschaftsgesetzes (GenG)
3. Aufbau und Zweck von Genossenschaften nach § 1 GenG
4. Internationale Perspektiven: Genossenschaftsrecht in der EU und weltweit
5. Rechtsprechung: Meilensteine in der Auslegung des Genossenschaftsrechts
6. Fallstudie: Rechtliche Herausforderungen bei der Gründung einer Genossenschaft

Einleitung

Genossenschaften spielen eine zentrale Rolle in der deutschen Wirtschafts und Rechtsgeschichte. Sie sind nicht nur wirtschaftliche Organisationen, sondern auch Ausdruck sozialer Verantwortung und kollektiven Handelns. Das deutsche Genossenschaftsgesetz (GenG) bietet den rechtlichen Rahmen für die Gründung, Strukturierung und den Betrieb von Genossenschaften und regelt die Rechte und Pflichten ihrer Mitglieder. Ziel dieses Beitrags ist es, die Entwicklung und rechtlichen Grundlagen der Genossenschaften zu analysieren und auf wichtige rechtliche Urteile einzugehen, die ihre Struktur und Funktionsweise geprägt haben.

1. Ursprung und historische Entwicklung von Genossenschaften

1.1 Frühe Formen von Genossenschaften

Genossenschaftliche Ansätze lassen sich bis in die Antike zurückverfolgen, doch die modernen Genossenschaften entstanden in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Beispiele für Pioniere sind:

Friedrich Wilhelm Raiffeisen: Gründung der ersten ländlichen Kreditgenossenschaften, um Bauern Zugang zu Krediten zu ermöglichen.
Hermann SchulzeDelitzsch: Aufbau von Handwerker und Konsumgenossenschaften, die auf Selbsthilfe und Solidarität basierten.

1.2 Industrialisierung und die Notwendigkeit von Genossenschaften

Die Industrialisierung führte zu sozialen Missständen, denen Genossenschaften als selbstverwaltete Organisationen entgegenwirkten. In dieser Zeit wurden Genossenschaften gegründet, um:
Arbeitsplätze zu schaffen,
günstigen Zugang zu Lebensmitteln und Wohnungen zu ermöglichen,
Kredite für kleine Unternehmen bereitzustellen.

1.3 Gesetzliche Regulierung der Genossenschaften

Das erste Genossenschaftsgesetz entstand 1867 und wurde in der Folgezeit weiterentwickelt. Das heutige Genossenschaftsgesetz (GenG) basiert auf der Fassung von 1889 und wurde zuletzt durch zahlreiche Änderungen an moderne Erfordernisse angepasst.

2. Grundlagen des Genossenschaftsgesetzes (GenG)

2.1 Ziele und Zweck

Das GenG definiert die Genossenschaft in § 1 GenG als „Gesellschaft von nicht geschlossener Mitgliederzahl, deren Zweck darauf gerichtet ist, den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zu fördern.“ Der Fördergedanke ist somit der Kern einer Genossenschaft.

2.2 Rechtsform

Genossenschaften sind juristische Personen (§ 17 GenG).
Sie haften grundsätzlich nur mit ihrem Vermögen, sofern nicht eine Nachschusspflicht der Mitglieder vereinbart ist (§ 6 GenG).

2.3 Mindestanforderungen

Gründung: Mindestens drei Personen (§ 4 GenG).
Satzung: Die Satzung ist das zentrale rechtliche Dokument einer Genossenschaft (§ 6 GenG).
Eintragung: Die Genossenschaft entsteht erst durch Eintragung in das Genossenschaftsregister (§ 11 GenG).

3. Aufbau und Zweck von Genossenschaften nach § 1 GenG

3.1 Förderzweck

Ziel der Genossenschaft ist es, die wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder zu fördern.
Beispiele:
Wohnungsbaugenossenschaften: Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum.
Konsumgenossenschaften: Kostengünstiger Einkauf von Waren.

3.2 Organe der Genossenschaft

Generalversammlung: Höchstes Entscheidungsorgan (§ 43 GenG).
Vorstand: Leitungsorgan, das die Geschäfte führt (§ 24 GenG).
Aufsichtsrat: Kontrollorgan zur Überwachung des Vorstands (§ 36 GenG).

4. Internationale Perspektiven: Genossenschaftsrecht in der EU und weltweit

4.1 Genossenschaften in der EU

Die Europäische Union hat mit der Verordnung (EG) Nr. 1435/2003 die Europäische Genossenschaft (SCE) eingeführt. Diese ermöglicht:
grenzüberschreitende Kooperationen,
gemeinsame Projekte innerhalb der EU.

4.2 Vergleich mit anderen Ländern

USA: Genossenschaften haben vor allem im landwirtschaftlichen Bereich große Bedeutung.
Japan: Genossenschaften im Gesundheits und Bildungssektor sind führend.

5. Rechtsprechung: Meilensteine in der Auslegung des GenG

5.1 Urteil des BGH zur Mitgliederhaftung

BGH, Urteil vom 23.09.1996 (Az. II ZR 198/95):
Thema: Nachschusspflicht der Mitglieder bei Insolvenz.
Kernaussage: Die Haftung der Mitglieder ist auf das vereinbarte Nachschusskapital begrenzt, sofern die Satzung keine abweichende Regelung enthält.

5.2 Urteil zur Förderungspflicht

OLG München, Urteil vom 15.11.2018 (Az. 34 Wx 196/18):
Thema: Verpflichtung der Genossenschaft, den Förderzweck zu erfüllen.
Kernaussage: Mitglieder können klagen, wenn die Genossenschaft den Förderzweck vernachlässigt.

6. Fallstudie: Rechtliche Herausforderungen bei der Gründung einer Genossenschaft

6.1 Problemstellung
Eine Gruppe von fünf Personen gründet eine Wohnungsbaugenossenschaft, scheitert jedoch an der Eintragung ins Register, da die Satzung unvollständig ist.

6.2 Rechtliche Analyse
Fehler in der Satzung können die Eintragung verhindern (§ 11 GenG).
Änderungen müssen von der Generalversammlung beschlossen und notariell beurkundet werden.

6.3 Lösung
Überarbeitung der Satzung und erneuter Eintragungsantrag.

Fazit

Die Genossenschaften in Deutschland haben eine lange Tradition und eine starke rechtliche Grundlage. Das Genossenschaftsgesetz und die Rechtsprechung bieten einen klaren Rahmen, der sowohl den Förderzweck als auch die Rechte der Mitglieder schützt. Dennoch sind sorgfältige Planung und rechtliche Expertise bei der Gründung und dem Betrieb einer Genossenschaft essenziell.

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